Donnerstag, 19. April 2012

"Das Weib schweige in der Gemeinde" - ein haltloses Hierarchisten-Sprüchlein


“Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset eure Weiber schweigen unter der Gemeinde; denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, daß sie reden, sondern sollen untertan sein, wie auch das Gesetz saget. Wollen sie aber etwas lernen, so lasset sie daheim ihre Männer fragen. Es stehet den Weibern übel an, unter der Gemeinde reden.”

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass dieses geflügelte Hierarchisten-Sprüchlein tatsächlich von Apostel Paulus selber stammt. Viel wahrscheinlicher ist es, dass dieser Spruch erst später nachträglich eingefügt wurde.

Dies aus mehreren Gründen:

1) Es widerspricht dem Rest der Paulusbriefe, welche klar belegen, dass Paulus nicht nur mit predigenden Frauen und Frauen als Diakoninnen zusammengearbeitet hat, sondern deren Hilfe entscheidend für sein eigenes Überleben war und er deren Arbeit zustimmend lobte (siehe dazu Römer 16:1-15; 1 Tim. 3:11).

Der katholische Kirchenvater Origenes bestätigte im 4. Jahrhundert, dass Frauen in der christlichen Frühgemeinde Ämter mit Autorität inne hatten (Gryson 1976:134), was einem angeblichen Sprachverbot völlig widerspricht.

Folgerichtig schreibt der Theologe Wayne Meeks:

"Women ... are Paul's fellow workers as evangelists and teachers. Both in terms of their position in the larger society and in terms of their participation in the Christian communities ..." (Rodney Stark: "The Rise of Christianity", S. 109)

2) Und Paulus schrieb:

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

Dies passt nicht zu eurem "Paulus", welcher den Frauen angeblich das elementare Recht zu sprechen verbieten möchte.

3) Jesus Christus hat Zeit seines Lebens niemals den Frauen das Gebot auferlegt, dass sie gefälligst schweigen sollen, vielmehr wählte er Frauen aus, seine Wiederauferstehung zu verkünden und den anfänglich ungläubigen Jüngern zu übermitteln. So eine entscheidende Aufgabe überlässt man nicht Leuten, die zum Schweigen verurteilt wurden.

In diesem Geiste des Evangeliums erlaubten deshalb die Quäker folgerichtig schon im 17. Jahrhundert den Frauen genau die gleichen Teilnahmerechte in der Glaubensgemeinde wie den Männern - was schliesslich sogar zum ersten modernen, vom Quäker Joseph Cooper vorangetriebene Frauenwahlrecht führte (S.74).

Eine zusammenfassende Darstellung des Disputs und somit die Schlussfolgerung, dass diese Phrase wahrscheinlich nicht von Apostel Paulus stammt und dass deren Gültigkeit somit umstritten ist, findet man mit fundierten, externen Quellen belegt hier auf Wikipedia.

Rodney Stark schreibt in seinem Buch "The Rise of Christianity" auf Seite 109 zu diesem Thema:

"Nevertheless, there is virtual consensus among historians of the early church as well as biblical scholoars that women held positions of honor and authority within early Christianity (Frend 1984; Gryson 1976; Cadoux 1925)."

Sein Weltbild auf Phrasen zu bauen, welche unter dem Verdacht stehen, von Unbekannten nachträglich eingefügt worden zu sein und welche den grundlegenden Geist des Evangeliums und auch zahllosen Aussagen des Paulus widersprechen, ist wenig überzeugend für andere und zeugt nur von einer zwanghaften Realitätsverweigerung.

Generell sind die hierarchistischen Bibelzitate im Vergleich zu jenen, welche die Gleichwertigkeit der Menschen propagieren, stark in der Minderheit. Ich zitiere dazu den amerikanischen Theologen John Ortberg:

"Und die Mehrheit der biblischen Aussagen stellt eindeutig klar, dass Männer und Frauen gemeinsam nach Gottes Ebenbild geschaffen sind und dass sich das auch in der Gleichheit ihres Dienstes ausdrückt."

Sich stattdessen auf eine Minderheit der biblischen Aussagen zu stützen, welche eine hierarchische Position bevorzugen, ist respektlos vor der Autorität der Bibel als Ganzes, denn man stellt ein willkürliches Teilstück über das Ganze und bricht eine der grundlegenden Regeln der biblischen Hermeneutik, welche besagt, dass wenn eine Position durch die Mehrheit der biblischen Aussagen klar belegt wird, soll diese Position auch vertreten werden.

Siehe dazu einer seiner Texte, welcher umfassend auf die Stellung der Frau in der Bibel eingeht. Man merkt beim Lesen jenes Dokuments schnell, dass die Bibel und das Christentum das geschlechterhierarchistische Weltbild nicht so sehr stützt, wie es Hierarchisten gerne hätten - im Gegenteil.

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Weitere "Argumente" der Hierarchisten habe ich ausführlich, sachlich und faktenbasiert im Kommentarbereich von "Die moralischen Grundlagen des Maskulismus" widerlegt - dort kam es zu einer riesigen Diskussion zwischen mir und drei Hierarchisten.

P.S.: Im alten, gelben Forum wurde gefragt, weshalb Frauen dann irgendwann keine Ämter mehr in  der katholischen Kirche mehr inne hatten. Dazu hat Alvin J. Schmidt in seinem Buch "How Christianity changed the World" auf Seite 109 Folgendes geschrieben:

"The ancient prejudices against women that Jesus and his early followers rejected began to enter the church in the latter part of the second century. By the third, fourth, and fifth centuries the antifeminine views of the ancient Greeks, Romans, and Judaizers were even more widely incorporated into the church's theology and practice by prominent church fathers. Many of them had studied and unwittingly absorbed some of the teachings the Greco-Roman poets and philosophers as well as the rabbinic oral law, which espoused numerous negative teachings regarding women. Some of them were influenced by the antiwomen prejudices of the Greco-Roman literature, and some by the Judaic oral law taught by the rabbis."

4 Kommentare:

Templarii hat gesagt…

Leb du mal mit einer Schwangeren, Stillenden oder Postnatal-erschöpften Frau zusammen.

Dann weisst Du wozu die Hierarchie da ist.

In übrigen sollte man sich diesen Spruch nicht in Befehlsform sondern als Seuftzer vorstellen.. ;)

ajk

Manifold hat gesagt…

Man kann nicht aus Extremsituationen heraus auf den normalen Alltag verallgemeinern. Schwangere Frauen und frische Mütter sind lediglich temporär leistungsmässig eingeschränkt - männnliche Kranke und Verwundete werden schliesslich auch nicht bevormundet.

Misogyn hat gesagt…

Dann eben nochmal detaillierter:

"Die Weiber seien untertan ihren Männern als dem HERRN. Denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleichwie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde, und er ist seines Leibes Heiland. Aber wie nun die Gemeinde ist Christo untertan, also auch die Weiber ihren Männern in allen Dingen."

Epheser 5,22-24

Das ist so eindeutig, da kann man gar nix mehr dran ruminterpretieren.

Manifold hat gesagt…

@ Misogyn:

Du begehst nachwievor den gleichen Fehler. Einzelne Bibelstellen kann man in ihrer Gültigkeit nicht über die gegenteilige Mehrheit und dem Geist des Evangeliums stellen, sonst respektiert man die Autorität der Bibel nicht:

"Auch in der "Frauenfrage" ist ein Schlüssel,
wie die Mehrheit der Aussagen in der Bibel
lautet. Und die Mehrheit der biblischen Aussagen
stellt eindeutig klar, dass Männer und
Frauen gemeinsam nach Gottes Ebenbild
geschaffen sind und dass sich das auch in
der Gleichheit ihres Dienstes ausdrückt.
Manchmal verhalten sich Christen aber nicht
analog zu dieser Mehrheit von Aussagen,
sondern genau anders herum: Sie halten an
einer hierarchischen Sicht fest, solange nicht
jeder Vorbehalt aus einer schwer verständlichen
Bibelstelle ausgeräumt ist. Damit befindet
man sich scheinbar auf der sicheren Seite
und respektiert die Autorität der Bibel. Das
aber ist keine korrekte Hermeneutik 1 (1),
keine richtige Auslegung der Bibel. Im Gegenteil:
Wir missachten damit die Autorität
der Bibel als Ganzes, indem wir willkürlich
einen kleinen Teil über das Ganze stellen.
Es gibt viele schwierige Fragen in der Theologie.
Die Autorität der Bibel respektiert, wer
sagt: Wenn eine Position durch die Mehrheit
der biblischen Aussagen klar belegt wird,
wollen wir diese Position vertreten - in aller
Regel verhält sich auch jeder Mensch so
(etwa, wenn es um Polygamie, Monarchie
oder Sklaverei geht ...). Wer sagt: "Selbst wenn 99 Prozent der Bibelstellen für die
Gleichheit sprechen, aber ein Prozent die
Hierarchie zu stützen scheint, halten wir an
der Hierarchie fest", der betreibt keine korrekte
Hermeneutik."

Du pflückst also willkürlich einzelne Bibelstellen entgegen dem Geist des heiligen Buches aus ihrem historischen und textuellen Kontext und Zusammenhang heraus um dein unchristliches, unbiblisches Weltbild zu stützen.

Die von dir angeführte Bibelstelle bezeugt lediglich eine Anerkennung für eine bestimmte, in Ephesus damals existierende Form der Ehe, jedoch keine Bestätigung, dass dies für immer Gottes Wille sei. Denn Epheser 6,5, wo Paulus die Sklaven zum Gehorsam gegenüber ihren Herren wie gegenüber Jesus aufruft, rechtfertigt er ja schliesslich auch nicht die Sklaverei, sondern anerkennt lediglich dass es diese Institution gibt, weil die Kirche damals noch zu schwach war, um die Sklaverei abzuschaffen.

Man darf die Bibel nicht willkürklich und inkonsequent interpretieren, indem man wie du einzelne Bibelstellen entgegen der Mehrheitsmeinung verabsolutiert. Sonst dürften wir Männer auch keine Frauen anfassen (1 Korinther 7,1: "Es ist gut für den Mann, keine Frau anzufassen"), müssten die Sklaverei wieder einführen (Epheser 6,5) oder die ganze Zeit Wein trinken (1 Timotheus 5,23).

Ich empfehle dir dringend einmal, dieses Dokument, welches genau deine Position wissenschaftlich und fundiert entkräftet, komplett durchzulesen:

http://rostan.net/forum/Ortberg%20Artikel.pdf