Montag, 10. August 2009

Die geopolitische Lage der Schweiz – Alpenfestung, Steuerstreit und fremde Vögte?

Heute will ich mir ein Thema vornehmen, dass nicht direkt mit dem Schwerpunkt dieses Blogs zu tun hat. Zumindest nicht direkt. Mir ist bewusst, dass dieser Blogeintrag einige sehr sensible Punkte tangieren wird.

Jedes Mal, wenn ein neuer Bundesrat für das VBS gewählt wird (Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport), wie vor einiger Zeit nun Ueli Maurer (SVP), hofft man auf eine Berücksichtigung der männerdiskriminierenden Dimension der einseitigen Wehrpflicht. Man hofft auf eine Armee, welche nicht nur modern und professionell ist, sondern auch nicht mehr jedes Jahr tausende Männer gegen ihren Willen zum Dienst an der Waffe verpflichtet.

Man hofft auf eine Armee, welche die besondere Lage Europas ins Blickfeld rückt und nicht nur die eigenen Kantone. Man wünscht sich eine Armeeführung, welche mit anderen europäischen Armeen zusammenarbeitet und gemeinsam eine europäische Verteidigung aufbaut. Denn es sind schlussendlich nicht unsere Piranhas und Füsiliere, welche unseren Staat vor Schlimmem verteidigen, sondern die europäischen Länder Frankreich, Deutschland und alle anderen, welche die Schweiz schützend umfassen und vor äusserem Übel im Ernstfall abschirmen. Es ist eine gesamteuropäische Verteidigungspolitik, welche unseren Schutz am ehesten garantieren könnte.

Doch Ueli Maurer besinnt sich trotz der veränderten Lage in Europa und den neuen sicherheitstechnischen Problemen (Terrorismus, Internetkriegsführung, …) auf ein überholtes Réduit-Gedankengut welches nicht nur das überholte Milizsystem, sondern auch die militärische Autonomie mitsamt einer unhinterfragten, einseitigen Männerwehrpflicht favorisiert.

Der Réduit-Mythos sagt im Wesentlichen, dass einerseits die Verschanzung der schweizerischen Milizarmee in den Alpen und andererseits die sogenannte Anbauschlacht (maximierte Selbstversorgung der schweizerischen Bevölkerung mit im Land angebauten Nahrungsmitteln) die Schweiz im europäischen Bürgerkrieg vor den Nazis gerettet hätten.

Wir werden im Folgenden sehen, dass dieses auch heute noch relevante Réduit-Gedankengut nicht nur den schweizerischen Männern, sondern auch der Schweiz als Ganzes schadet.

Alpenfestung

Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass im Moment intensiv von offiziellen Stellen eine neue Doku-Soap namens “Alpenfestung – Leben im Réduit” über das Leben im Réduit beworben wird, welche die Gegebenheiten in den Stützpunkten innerhalb der Alpen und der Zivilbevölkerung der Schweiz im Laufe des zweiten Weltkrieges darstellen soll.

Dass die Schweiz zu gewissen Zeiten im zweiten Weltkrieg bis zu 40 % ihrer Nahrungsmitteln über oder von den Achsenmächten und anderen Nationen importierte, wird dabei häufig unterschlagen. Dass die Schweiz mit den Nazis in manchen Bereichen zusammengearbeitet hat, Flüchtlinge an der Grenze abwies und militärische Transporte der Achsenmächte durch den Gotthard (die schnellste Verbindung von Nordeuropa nach Südeuropa) zuliess, wird häufig auch vergessen.

Einige dieser Themen kann man im sogenannten Bergier-Bericht über die Schweiz im zweiten Weltkrieg in allen Details nachlesen. Wir können somit nicht von anderen europäischen Staaten verlangen, dass sie ihre Rolle im zweiten Welkrieg aufarbeiten, wenn wir das Gleiche nicht auch mit unseren eigenen Unzulänglichkeiten in jenem europäischen Bürgerkrieg tun.

Wir können nicht etwas glorifzieren, dass einerseits so nicht den Tatsachen entspricht, nebenbei auch noch die Hälfte der Gesellschaft auf ewig an den Dienst der Waffe fesselt und die Schweiz in eine geopolitische Isolierung gefangen hält.

Warum braucht die Schweiz eine komplette Armee basierend auf dem Milizprinzip mit allem drum und dran, wenn eine professionelle Spezialisierung (Sanitätsdienste, Minenräumung, Gebirgskampf oder Katastrophenbewältigung zum Beispiel) im europäischen Verband nicht nur effizienter, sondern auch effektiver wäre? Denn alle Europäer hocken gemeinsam im gleichen Boot – ob sie nun in der EU sind oder nicht.

Viele werden nun aufstehen und mit dem Wort Neutralitätspolitik antworten. Und genau darauf werde ich nun im Folgenden eingehen.

Die politische Isolierung der Schweiz

Historisch wuchs die Neutralität der Schweiz aus der Reisläuferei (Söldnertum) und der Realisierung, dass nur ein Nichteinmischen in fremde Händel und eine strikte Unparteilichkeit die Schweiz vor einer Auflösung retten konnte. Das hat im Verlauf der Jahrhunderte sehr gut funktioniert, wenn auch immer wieder mächtige Fürsprecher und ein moralischer Spagat in der exakten Auslegung der Neutralität nötig waren.

Die Neutralität der Schweiz ermöglichte ihr die Etablierung einer föderalen, direkten Demokratie, wie es sie sonst wohl kaum noch irgendwo gibt und welche weltweit als beispelhaft gilt. Sie ermöglicht der Schweiz ein politisches System, welches zwar in gewissen Bereichen langsamer voranschreitet (da das Volk bei fast allem das letzte Wort hat), dadurch jedoch auch weniger anfällig vor zu einseitigen Entscheidungen ist (denn nur breit abgestützte Kompromisse haben überhaupt eine Chance).

Die Neutralität hält für uns Schweizer jedoch auch die Gefahr der politischen Isolierung bereit, wenn sie zu strikt ausgelegt wird. Und in Situationen, in denen vitale Bereiche der Schweiz international unter Beschuss geraten, sind Freunde eine Voraussetzung für die Durchsetzung eigener Interessen.

Der kontinentale Steuerstreit

Der niedrige Steuersatz und wenige Regulierungsvorschriften für die Wirtschaft machen die Schweiz zu einem attraktiven Ziel für Firmen, welche ihren Sitz in der Schweiz verlegen, so dass sie nur hier relativ wenige Steuern zahlen müssen (Holding-Gesellschaften) oder für reiche Europäer und Nichteuropäer, welche den hohen Steuersätzen in ihren jeweiligen Ländern entgehen möchten und deshalb ihr Geld in der Schweiz anlegen.

Das Bankgeheimnis, welches die schweizerischen Banken im Prinzip dazu verpflichtet, keine Kundendaten an Dritte weiterzugeben, begünstigt natürlich diese Tendenz.

Es ist somit nicht verwunderlich, wenn andere europäische Staaten etwas dagegen haben und Druck aufzubauen versuchen.

Dass die Schweiz rasch, ohne Gegenforderungen und ohne internationale Androhung harter Sanktionen klein beigab und nach der Pfeife anderer tanzte, machte viele Schweizer stutzig. Denn "fremdes" Recht habe in der Schweiz nicht zu gelten und anders herum.

Wäre dieser Streit anders ausgegangen, wenn die Schweiz ihre Anliegen gemeinsam mit gleich gesinnten europäischen Staaten, die ebenfalls einen starken, wichtigen Finanzplatz haben und unter Druck stehen (Belgien, Österreich, Luxemburg, …) in Brüssel vorgebracht hätten? Hätte die Schweiz ihre Interessen gegenüber Deutschland besser durchsetzen können, wenn sie in Brüssel ein Wörtchen hätte mitsprechen können?

Der interkontinentale Steuerstreit

Man mag das Gerangel um die lebenswichtigen Steuern und um möglichst tiefe Steuersätze im kontinentalen Steuerwettkampf noch verstehen und bis zu einem gewissen Grad nachzuvollziehen, doch was haben Rechtsansprüche von nichteuropäischen Ländern in Europa verloren?

Die USA trat vor einiger Zeit mit einigen Forderungen an die Schweiz heran, deren Erfüllung man auch dieses Mal von der schweizerischer Seite aus schnell und ohne grosses Ausharren nachging – und über den Inhalt jener Abmachung man Stillschweigen bewahrt!

Dass das Bankgeheimnis der Schweiz nun mittlerweile so dermassen ausgehöhlt, löchrig und somit viel an internationaler Bedeutung verloren hat, stösst den meisten Schweizern sauer auf. Denn ein entscheidender Wettbewerbsvorteil auf dem internationalen Finanzplatz geht nun mehr und mehr den Bach runter.

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der schweizerischen Banken


Der kleine Staat Schweiz ist besonders auf ein reibungsloses Funktionieren seiner Banken angewiesen, dann mangels natürlicher Ressourcen und ohne einer prominenten Verarbeitungsindustrie, sind es vor allem die Banken, welche nicht nur einen nicht unerheblichen Teil der Steuereinnahmen bereitstellen, sondern auch eine wichtige gesamtwirtschaftliche Rollen spielen und somit wesentlich für den Erhalt des politisch lebenswichtigen Sozialstaates verantwortlich sind.

Darum zögern Politiker auch bei der Beschneidung der Boni von hohen Bankern. Deshalb geben sie bei Streitigkeiten zwischen dem Ausland und den schweizerischen Banken schnell klein bei. Deswegen gehen sie hastig und häufig unüberlegt Kompromisse ein, welche zwar den gröbsten Teil des schweizerischen Finanzplatzes übrig lassen, aber zu unabschätzbaren künftigen Konsequenzen.

Denn kein Politiker möchte seine Karriere riskieren, indem er den wesentlichen Stützpfeiler des schweizerischen Sozialstaates durch Trotzgebaren gegenüber dem Ausland zerstört. Genau dieser Gedankengang erklärt das schnelle Nachgeben und die Bereitschaft, das Bankgeheimnis auf den internationalen Altären zu opfern – zum Wohle der lebenswichtigen Steuereinnahmen der Banken.

Mag das Bankgeheimnis bisher ein wichtiger Wettbewerbsvorteil gewesen sein, so sind doch mögliche direkte Sanktionen gegenüber den Aktivitäten der Banken im Ausland viel schwerwiegender als der Verlust einer traditionellen Diskretion.

Fremde Vögte?

Doch statt sich schon früh gleichgesinnte Staaten mit an Bord zu holen und eine gemeinsame Interessensvertretung aufzubauen zum Schutze der wichtigen Banken, hält die Schweiz auch nach wie vor ein überholtes Réduit-Gedankengut am Leben, welches uns in Form einer überholten Neutralitätspolitik nicht nur politisch isoliert, sondern uns auch nicht vor kontinentalen und interkontinentalen „Angriffen“ auf wichtige Stützpfeiler unserer Volkswirtschaft schützt.

Auch wenn es um Vorschriften und Normen der EU geht, zeigt sich dieses Muster. Wir stehen aussen vor und überlassen den anderen europäischen Staaten die Festlegung von entscheidenden Massnahmen, welche die komplette kontinentale Wirtschaft beeinflussen, und müssen diese dann ohne Berücksichtigung unserer Anliegen aufgrund der bilateralen Verträge in unsere Bundesverfassung übernehmen.

Man sieht, dass unsere Neutralitätspolitik uns daran hindert, unsere Interessen in eine europäische Politik einzubringen, die uns schon längstens entscheidend beeinflusst! Wir werden davon Zeuge, dass die Alpenfestungen uns nicht vor der Macht eines nichteuropäischen Leviathans verteidigt, dass das Réduit uns nicht vor den Anliegen anderer europäischer Staaten schützt.

Nur eine Teilnahme an der Gestaltung des künftigen Europas ermöglicht das Einbringen eigener Interessen. Nur so können wir dafür sorgen, dass auch noch in hundert Jahren sich ein bedeutender Finanzplatz in den Alpen befindet, der unseren Sozialstaat am Leben hält.

Nur wenn wir akzeptieren, dass wir dazugehören und mitreden müssen, egal ob wir wollen oder nicht, können wir den ersten Schritt in Richtung einer Welt gehen, in der nichteuropäische Anmassungen an den Atlantikküsten abprallen wie Sturmfluten an den holländischen Deichen. In der wir mit den Deutschen und mit allen anderen Europäern auf gleicher Höhe disputieren können, ohne dass wir in einer überholten Isolierung zu allem genötigt werden.

Nur die Überwindung des Réduit-Gedankengutes lässt uns nicht nur den uns rechtmässig zustehenden Platz innerhalb Europas einnehmen, sondern ermöglicht auch die Abschaffung der einseitigen Wehrpflicht.

Wir Schweizer können uns nicht mehr länger im Réduit vor der Welt verstecken

4 Kommentare:

Gio Ve hat gesagt…

Just to complete Your interesting report, I invite You to look at the collection of views of political borders in http://www.pillandia.blogspot.com
Best wishes!

Anonym hat gesagt…

Grrrrrhhh.......!!!

Das gibt noch lang gezogene Hammelohren! Von mir persönlich!

Grüsse

Manhood :-)

Anonym hat gesagt…

Sehr geehrter Herr Manifold, wie erreiche ich Sie per eMail? Ich bin Vorstand des bei Ihnen verlinkten GLEICHMASS e.V. und betreibe den ebenfalls verlinkten Blog Schlusslicht. Am MOntag eröffnen wir die Wanderausstellung "Väter a.D.", die wahrscheinlich auch in die Schweiz kommen wird. Könnten Sie sich bitte mit mir wegen eines Postings dazu in Verbindung setzen?
Meine eMail-Adresse: 1emilia[at]web.de

Vielen Dank im Voraus _ Tristan Rosenkranz

Anonym hat gesagt…

Wollte nur sagen, dass die Schweizer Neutralität spätenstens mit der Anerkennung des Kosovo nicht mehr existent ist. Die Schweiz hat einen Pseudo-Staat anerkannt, der gegen jegliches UNO Recht verstösst (allgemeiner Natur und einen speziellen Artikel explizit zu diese Thema , UNO Resolution 1244 (1999) ), nur in der Hoffnung, der Flut von Kosovo-Albanern, die schon seit Jahren die Schweiz als angebliche Verfolgte und Kriegsleidende bestürmen, Herr werden zu können. Das Kriegsverbrechen der Nato an den Bürgern des ehemaligen Rest-Jugoslawiens, die mit ihren damals 17 Nato Staaten mit einem über 70 tägigen andaurenden Bombenteppich vornehmlich nur Zivilisten zur Zielscheibe hatten, wird damit konsequent unter den Tisch gekehrt, auch die Tatsache, dass dieses Bombardement überhaupt der Grund für die immense Flucht von Kosovo-Albanern in die Schweiz war. Dass man sich dabei den eigenen Ast, auf dem man sitzt, abgesägt hat, wird man spätestens in der übernächsten Generation der Schweizer-Kosovo-Albanern (das pseudo-wissenschaftliche und erfunde Wort Kosovaren möchte ich gar nicht erst benutzen) sehen, die dann die gleichen Rechte fordern werden wie in Serbien, nämlich das Recht eines eigenständigen Staates, vorzugsweise Schlieren oder ähnliche Gebiete. Komischerweise dürften aber dann die UNO Rechte auf die Eigenständigkeit eines souveränen Staates wie der Schweiz doch fruchten, was für Serbien scheinbar damals nicht golt. Zu diesem Zeitpunkt dürfte ich aber ein alter verblendeter Serbe sein, der aufgrund seiner fehlenden Arbeitskraft in einem kapitalistischen Staat sowieso nichts mehr zu sagen hat, und somit versuchen, meinen letzen Lebensabend in meinem, vor Jahrzehnten verlorenen Land, zu vebringen. Somit dürfte mir dann vielleicht doch ein kleines bisschen Gerechtigkeit in meinem alternden Herzen vergönnt sein.

Ansosten aber sehr guter Bericht