Die folgende Arbeit stammt von Dr. habil. Heike Diefenbach und wurde ursprünglich auf dem Blog "Kritische Wissenschaft" publiziert. Sie deckt in umfassender und wissenschaftlich stichfester Art und Weise auf, wie Feministen den Begriff "Patriarchat" missbrauchen und dass es in Tat und Wahrheit nie so etwas wie ein von den Feministen ständig beschwörtes "Patriarchat" gegeben hat.
Unbedingte Leseempfehlung.
---
Patriarchat
von Dr. habil. Heike Diefenbach
Wortherkunft und Wortgebrauch
Der
Begriff “Patriarchat” ist abgeleitet vom griechischen πατριάρχης
patriarches “Erster unter den Vätern” bzw. “Stammesführer” oder “Führer
des Vaterlandes” (aus πατήρ patér „Vater“ und ἄρχων archon. Im
Neugriechischen bedeutet αρχη “Beginn, Start”, im Altgriechischen
“Macht”. In der Septuaginta wird der Begriff in der Bedeutung von
“Erzvater” verwendet. Dementsprechend wurde der Begriff “Patriarch” im
Mittelalter und in der frühen Neuzeit als Synonym für die Stammväter der
Israeliten vor der Sintflut und nach ihr bis zum Auszug der Israeliten
aus Ägypten verwendet. Daraus erklärt sich auch die Assoziation von
“Patriarch” mit einem alten Mann, der Kinder, Enkel und Enkelkinder hat,
denn von den Stammvätern der Israeliten wird in der Bibel berichtet,
dass sie ein sehr hohes Alter erreichten. In der christlichen Kirche
wurde der Begriff “Patriarch” schon früh als Ehrentitel für geistliche
Würdenträger benutzt, ohne dass dieser Titel notwendigerweise Gewalt
über andere Geistliche implizierte. Dies berichtet Johann Christoph
Abelung in seinem “Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen
Wörterbuches der hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der
übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen”, der 1777 in
Leipzig erschienen ist. Dort wird das “Patriarchat” als “… die Würde,
die Stelle eines Patriarchen in der zweiten Bedeutung”, d.h. mit Bezug
auf kirchliche Würdenträger, und als deren “geistliches Gebiet, de[r]en
Kirchensprengel” bezeichnet – und es werden keine anderen
Wortbedeutungen genannt (Abelung, 1777, S.981).
Die Übertragung des Begriffs “Patriarchat” zur Bezeichnung sozialer
bzw. gesellschaftlicher Organisationen, in denen Väter und oder Männer
(Letzteres ist dem Begriff eigentlich nicht angemessen) Mütter oder
Frauen vermeintlich oder tatsächlich dominieren und über größere
Lebenschancen oder Selbstbestimmungsrechte verfügen als Frauen, erfolgte
erst im 19. Jahrhundert, und zwar unter dem Einfluss der
fortschreitenden Säkularisierung, gesellschaftlicher Umbrüche im
Zusammenhang mit der sozialen Frage, der Verbreitung evolutionistischen
Gedankengutes in der Folge Darwins und der sich damals gerade
entwickelnden Wissenschaft der Sozial- oder Kulturanthropologie oder
Ethnologie. In dieser Gemengelage von Ideen, Anliegen und Informationen
waren viele fasziniert von der Frage, wie die neu entdeckte Urgeschichte
des Menschen ausgesehen habe oder haben könnte, und spekulierten über
die Existenz evolutionärer Stufen, die in die Realität der westlichen
Gesellschaften des 19. Jahrhunderts geführt hätten (Eller, 2011,
S.109;112). Das Patriarchat wurde als Charakteristikum einer oder
verschiedener dieser evolutionären Stufen betrachtet, und je nachdem,
wie man die vermutete evolutionäre Entwicklung als Ganze und die
zeitgenössischen gesellschaftlichen Verhältnisse bewerten wollte, wurde
das Patriarchat als höhere oder niedrigere Entwicklungsstufe
menschlicher Gesellschaftsordnung beurteilt. Dementsprechend wurde in
dieser Zeit über das Patriarchat selten wertneutral gesprochen.
Einhundert Jahre später definiert Hillmann das “Patriarchat” in
seiner sozialwissenschaftlichen Bedeutung jedoch wertneutral als
“‘Vaterherrschaft’, Vaterrecht; die Herrschafts- u[nd] Einflussordnung
einer Ges[ellschaft], in der die für die Organisation u[nd] den Ablauf
der wichtigen soz[ialen] Beziehungen gültigen u[nd] maßgebenden Werte,
Normen u. Verhaltensmuster von den jeweils älteren Männern, den Vätern,
bestimmt, geprägt, kontrolliert u[nd] repräsentiert werden” (Hillman,
1994, S.656).
In der Familiensoziologie wird als “Patriarchat” – enger und in
besserer Entsprechung zur Wortbedeutung und in Anlehnung an die römische
Familie bzw. den pater familias – eine Form der familialen Organisation
bezeichnet, die dem Familienvater als dem “Herrn des Hauses” die
Herrschaft über die anderen Familienangehörigen zuschreibt (Burkhart,
2008, S.118/119), wobei diese Herrschaft gewohnheitsrechtlich oder
juristisch verankert sein kann und im Einzelfall zu klären ist, wer
warum zur Familie gehört und wer nicht, denn der pater familias muss
keineswegs in biologischen Verwandtschaftsbezügen zu allen Angehörigen
seiner Familie bzw. seines Haushaltes vorstehen.
Die gänzliche Ablösung des Begriffs “Patriarchat” von Vätern (und
Verschiebung hin zu Männern unabhängig von ihrem Vater-Sein oder ihrem
Alter) bei gleichzeitiger Unterschlagung der Verpflichtungen, die mit
Rechten einhergehen, erfolgte erst im Rahmen des Feminismus, der die
deskriptive Bedeutung von “Patriarchat” als einer realen oder
hypothetischen Gesellschafts- oder Familienordnung, in der Väter bzw.
ältere Männer dominieren, in weiteren wichtigen Hinsichten transformiert
hat: Erstens liegt dem Feminismus und insbesondere dem Staatsfeminismus
die Annahme zugrunde, dass eine systematische Dominanz von Männern über
Frauen (auch) in der westlichen Welt und in modernen Gesellschaften
eine empirische Tatsache sei, d.h. dass eine angemessen als
“Patriarchat” zu bezeichnende Gesellschaftsordnung tatsächlich
existiere. Zweitens ist im Feminismus an die Stelle der deskriptiven
Bedeutung von “Patriarchat” die negative Wertung desselben als ein zu
bekämpfender Mißstand getreten. Der Begriff “Patriarchat” ist damit zum
Kampfbegriff des Feminismus geworden, und zumindest einige Feministinnen
bezeichnen und gebrauchen den Begriff “Patriarchat” auch selbst
explizit als Kampfbegriff. Diese Auffassung vom “Patriarchat” als real
existierender systematischer Unterdrückung von Frauen durch Männer und
als Kampfbegriff bringt die prominente Kritikerin eines
“kapitalistischen Patriarchats” Maria Mies auf den Punkt: “‘Patriarchy’
literally means the rule of fathers. But today’s male dominance goes
beyond the ‘rule of fathers’ it includes the rule of husbands, of male
bosses, of ruling men in most societal institutions, in politics and
economics, in short, what has been called ‘the men’s league’ or ‘men’s
house’. In spite of these reservations, I continue to use the term
patriarchy. My reasons are the following: the concept ‘patriarchy’ was
rediscovered by the new feminist movement as a struggle concept, because
the movement needed a term by which the totality of oppressive and
exploitative relations which affect women, could be expressed as well as
their systematic character. Moreover, the term ‘patriarchy’ denotes the
historical and societal dimension of women’s exploitation and
oppression, and is thus less open to biologistic interpretations, in
contrast, for example, to the concept of ‘male dominance’” (Mies, 1998,
S.37).
Wenn
der Begriff “Patriarchat” als Kampfbegriff gebraucht wird, lässt sich
dies daran erkennen, dass die konnotative Bedeutung gegenüber der
denotativen in den Vordergrund gerückt wird, d.h. eher die Beziehung des
Sprechers zum Gemeinten bzw. dessen Bewertung durch den Sprecher als
das Gemeinte selbst erläutert wird, so dass der Begriff auf die
Bezeichnung eines abzulehnenden Mißstands festgelegt wird, wie dies im
oben stehenden Zitat von Mies, aber auch in der folgenden Erläuterung
von Walby ihres Gebrauchs des Begriffs “Patriarchat” der Fall ist: “… I
shall define patriarchy as a system of social structures, and practices
in which men dominate, oppress and exploit women” (Walby, 1989, S.214).
Oder die Begriffe “Patriarchat” oder “patriarchalisch” verweisen in
tautologischer bzw. zirkulärer Weise aufeinander, statt das Gemeinte zu
erläutern, wie im folgenden Beispiel: “I think that there are six main
patriarchal structures which together constitute a system of patriarchy.
These are: a patriarchal mode of production in which women’s labour is
expropriated by their husbands; patriarchal relations within waged
labour; the patriarchal state; male violence; patriarchal relations in
sexuality; and patriarchal culture” (Walby, 1989, S.220).
Empirischer Gehalt des Begriffs “Patriarchat” oder: Gibt es “Patriarchate” oder gar das “Patriarchat”?
Ob sinnvoll von einem oder gar dem Patriarchat gesprochen werden
kann, hängt davon ab, dass klar angegeben wird, wann genau von einer
Herrschaft, Dominanz oder Vormachtstellung von Vätern oder Männern
gegenüber Müttern oder Frauen gesprochen werden soll, und dass
nachgewiesen wird, dass aufgrund dieser Kriterien in einem konkreten
Fall vom Vorliegen einer solchen Herrschaft, Dominanz oder
Vormachtstellung von Vätern oder Männern gesprochen werden kann. Erst
wenn dies erfolgt ist, kann vernünftigerweise darüber diskutiert werden,
ob und aus welchen Gründen man dies als Mißstand bewerten sollte oder
könnte. Weil klare Antworten auf diese Fragen in der Regel nicht gegeben
werden, ist die intersubjektive Verständigung schwierig, und dies
dürfte zumindest zum Teil erklären, warum große Uneinigkeit darüber
besteht, ob irgendwann irgendwo ein “Patriarchat” herrscht/e oder es
sogar das “Patriarchat” schlechthin gegeben hat oder derzeit gibt oder
nicht.
Zur Klärung des empirischen Gehaltes des Begriffs “Patriarchat” ist
es also notwendig, sich auf einen spezifischen Patriarchatsbegriff zu
beziehen oder anzugeben, auf welchen konkreten Kontext man die Rede vom
“Patriarchat” bezieht. Ungeachtet der zahlreichen Variationen im Detail
lassen sich prinzipiell drei Patriarchatsbegriffe zur Bezeichnung von
Formen gesellschaftlicher Ordnung unterscheiden, nämlich
- das Patriarchat als gesellschaftliche Organisationsform vorindustrieller Bevölkerungen,
- das Patriarchat als Form familialer Organisation,
- das Patriarchat als (aktuell zu beobachtende) gesellschaftliche Organisationsform postindustrieller, moderner Staaten oder der Weltbevölkerung insgesamt.
1. Das Patriarchat als gesellschaftliche Organisationsform vorindustrieller Bevölkerungen
Das
Patriarchat wird häufig als die gesellschaftliche (oder in diesem
Kontext häufig treffender: gemeinschaftliche) Organisationsform
vorindustrieller Bevölkerungen betrachtet, die unter den Bedingungen der
modernen oder postindustriellen Gesellschaft überwunden sei oder noch
überwunden werden müsse, weil aufgrund der in diesen Gesellschaften
anderen Lebensumstände der Menschen keine Plausibilität oder Legitimität
mehr habe. Jedenfalls wird behauptet, das Patriarchat sei eine
historische Tatsache. Diese Vorstellung wird in zwei Varianten
formuliert. Beide Varianten erläutern nicht, was genau unter
“Patriarchat” zu verstehen sei und woran man es erkennen könnte;
vielmehr wird beschrieben, unter welchen Umständen es sich entwickelt
habe. Die erste Variante argumentiert diesbezüglich mit
Ressourcenknappheit oder, wenn man so sagen will: relativer Armut, die
zweite Variante argumentiert – im Gegenteil – mit relativem Wohlstand.
1.1 Das Patriarchat als Reaktion auf Ressourcenknappheit
Nach
der ersten Variante, die z.B. der teilweise soziobiologisch
argumentierende Kulturanthropologe Marvin Harris vertritt, entwickelt
sich ein Patriarchat in Folge knapper Ressourcen und hierdurch bedingter
Kriegführung sowie Bevölkerungsdruck. Diese wiederum hätten auf eine
Bevorzugung männlicher Kinder und die Polygynie, also die Ehe eines
Mannes mit mehreren Frauen, hingewirkt – wobei offen bleibt, warum nicht
das Gegenteil der Fall ist, also eine Frau als das aufgrund der
postulierten Bevorzugung männlicher Kinder ‘knappere Gut’ mehrere Männer
geheiratet haben sollte. Das habe zu “Neid, Ehebruch, einem
geschlechtsbedingten Antagonismus zwischen Männern einerseits und Frauen
andererseits sowie zu Feindseligkeiten zwischen Männern und zwar
besonders zwischen den jungen Männern, die keine Frauen haben, und den
älteren Männern, die mehrere besitzen …” (Harris, 1989: 355) geführt,
wobei auch hier offen bleibt, warum das der Fall gewesen sein soll.
Dementsprechend sei “in allen Gesellschaften, die wenig Krieg führen und
nur einem geringen Bevölkerungsdruck ausgesetzt sind, der Komplex
männlicher Suprematie nur schwach ausgeprägt oder praktisch nicht
vorhanden …” (Harris 1989: 355), und dies gelte für “viele
Wildbeutergesellschaften” (Harris 1989: 355).
Demnach sind es also spezifische “vorindustrielle…[...] Bedingungen”
(Harris 1989: 353) der Ressourcenknappheit, die ein Patriarchat
begründet haben sollen. Falls dies zuträfe, würde es keinen Sinn machen,
von dem Patriarchat zu sprechen, sondern patriarchalische
Organisationsformen wären historisch dann und dort entstanden, wann und
wo Ressourcenknappheit herrschte. Patriarchate wären also zeitlich und
räumlich klar spezifizierte gesellschaftliche Phänomene.
Kritik:
In dieser Darstellung wird zwar begründet, warum sich ein Patriarchat
entwickelt haben könnte oder müsste, wenn die angegebenen Umstände
vorlagen, aber die Darstellung enthält weder einen Nachweis der Existenz
eines Patriarchats in Gesellschaften, der voraussetzen würde, dass
Angaben darüber gemacht werden, was die ein Patriarchat definierenden
Elemente wären bzw. woran man ein Patriarchat erkennen könnte, noch
einen Nachweis dafür, dass vorindustrielle Lebensbedingungen in
nennenswert vielen Fällen von “Ressourcenknappheit” gekennzeichnet
gewesen wären. Darüber hinaus weist die gegebene Begründung (wie oben
schon angedeutet) erhebliche Argumentationslücken auf.
Vor allem aber ist “Ressourcenknappheit” kein absoluter Begriff,
sondern ein relativer, und der Zusammenhang zwischen Ressourcenknappheit
und patriarchalischer Organisationsform kann daher ohne eine Festlegung
dessen, was genau als “Ressourcenknappheit” gelten soll, nicht geprüft
bzw. widerlegt werden: Wenn keine patriarchalische Organisationsform
beobachtet würde, dann wären die Ressourcen eben nicht (hinreichend)
knapp (gewesen), und wenn eine patriarchalische Organisationsform
beobachtet würde, würde dies automatisch als Beleg dafür gedeutet, dass
Ressourcen (hinreichend) knapp sind oder gewesen sein müssen. Es handelt
sich also um eine Darstellung, deren Richtigkeit kaum durch empirische
Daten überprüft werden kann; man kann sagen: sie stimmt immer
(irgendwie), und deshalb, eben als weitgehend unprüfbare Aussage über
die vergangene Realität, kann die Darstellung keine Anspruch auf
Wissenschaftlichkeit erheben und hat dementsprechend keine Aussagekraft
über die Formulierung hypothetischer Zusammenhänge hinaus.
Will man von den Verhältnissen in bestimmten zeitgenössischen
(technologisch) einfache(re)n Gesellschaften auf die Verhältnisse der
Menschheit im Ganzen zu früheren Zeiten schließen, dann ist dies nur
möglich, wenn man voraussetzt, dass diese materiell oder technologisch
einfache(re)n Gesellschaften in ihrer Entwicklung “stehengeblieben”
seien und ihre Lebensweise deshalb der Lebensweise der Menschen in
früheren Zeiten entspräche. Dies ist aber selbst eine spezifisch
westliche Vorstellung vom Verlauf der Menschheitsgeschichte und von der
relativen Bedeutung materieller und kultureller Komplexität für
Fortschritt und Zivilisation (Berhard 1988: 63/64). Darüber hinaus sind
heute beobachtete “Traditionen” häufig gar keine, sondern relativ neue
Phänomene, die teilweise ganz bewusst zur Verfolgung bestimmter
Interessen entwickelt und vermarktet werden.FN1
1.2 Das Patriarchat als Reaktion auf Wohlstand und Privateigentum: Die Vertreibung aus dem kommunistischen Paradies
In der zweiten Variante wird die Existenz eines, also des,
Patriarchats als Epoche der universellen Menschheitsgeschichte
behauptet, der wiederum eine Epoche des Matriarchats oder “Mutterrechts”
vorausgegangen sei. Diese Vorstellung ist heute untrennbar mit dem
Namen Friedrich Engels verbunden, der gemeinsam mit Karl Marx das
Kommunistische Manifest verfasst hat und neben Marx selbst als Begründer
des Marxismus gilt. Engels hat sie im Jahr 1884 in seinem Buch “Der
Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats” (1984[1884])
formuliert, das bis heute als Grundlagenwerk der marxistischen und der
kommunistischen Weltanschauung gilt.
Engels ging davon aus, dass eine “kommunistische Haushaltung … die
sachliche Grundlage jener in der Urzeit allgemein verbreiteten
Vorherrschaft der Weiber …” (Engels 1984[1884]: 61) gewesen sei.
Letztere sei dadurch begründet, dass in der frühen Menschheitsgeschichte
Gruppenehe geherrscht habe und dort, wo Gruppenehe herrsche,
Vaterschaft praktisch nicht feststellbar und daher “die Abstammung nur
von mütterlicher Seite nachweisbar sei, also nur die weibliche Linie
anerkannt wird” (Engels 1984[1884]: 53). Engels übernimmt für die so
begründete “Vorherrschaft der Weiber” den Begriff des “Mutterrechts” von
Johann Jakob Bachofen (1975[1861], der seinerseits gemeint hatte, aus
seiner Interpretation antiker Mythen auf einen tatsächlichen
historischen Übergang vom Vater- zum Mutterrecht, der in den Mythen in
symbolischer Sprache beschrieben werde, schließen zu können.FN2
Mit der Domestizierung von Tieren und der folgenden Viehzucht hätte
sich, so Engels, erstmals in der Menschheitsgeschichte eine “ungeahnte
Quelle des Reichtums” (Engels 1984[1884]: 66) entwickelt, und hieraus
hätte sich “schon früh … Privateigentum an den Herden entwickelt [haben
müssen]” (Engels 1984[1884]: 66). Dies wiederum habe zu einer erhöhten
Nachfrage nach Arbeitskräften zur Betreuung der eigenen Herden geführt,
und dies sei der Grund dafür, dass die Sklaverei erfunden worden wäre
und Frauen nunmehr einen “Tauschwert” erhalten hätten (Engels
1984[1884]: 67), und zwar von Männern bzw. für Männer. Engels meint
nämlich zu wissen, dass “[n]ach dem Brauch der damaligen Gesellschaft …
der Mann auch Eigentümer der neuen Nahrungsquelle, des Viehs, und später
des neuen Arbeitsmittels, der Sklaven” (Engels 1984[1884]: 68) gewesen
sei. Männer hätten nach Engels die Kontrolle über Frauen aber nicht nur
angestrebt, weil sie Frauen als Arbeitskräfte benötigten, sondern auch
deshalb, weil sie ihren Reichtum an ihre eigenen, biologischen Kinder
vererben wollten, und es hierzu notwendig gewesen wäre, die sexuelle
Treue der eigenen Frau(en) sicherzustellen und die Erbfolge nur nach der
mütterlichen Linie aufzuheben. Hier setzt Engels die von ihm
postulierte alleinige Anerkennung der Abstammung einer Person von der
mütterlichen Seite umstandslos in einen notwendigen Zusammenhang mit der
alleinigen Erbschaftsfolge in der mütterlichen Linie, die sich
angeblich “daraus [aus der ausschließlichen Anerkennung der
Abstammungsfolge nach der Mutter] … mit der Zeit ergeben[...]“(Engels
1984[1884]: 53) habe: “In dem Verhältnis also, wie die Reichtümer sich
mehrten, gaben sie einerseits dem Mann eine wichtigere Stellung in der
Familie als der Frau und erzeugten andrerseits den Antrieb, diese
verstärkte Stellung zu benutzen, um die hergebrachte Erbfolge zugunsten
der Kinder umzustoßen. Dies ging aber nicht, solange die Abstammung nach
Mutterrecht galt. Diese musste also umgestoßen werden, und sie wurde
umgestoßen” (Engels 1984[1884]: 68). Diesen fiktiven Umsturz des
Mutterrechts bezeichnet Engels als die “weltgeschichtliche Niederlage
des weiblichen Geschlechts” (Engels 1984[1884]: 70; Hervorhebung im
Original).
Die monogame Familie ist für Engels also eine Institution des
Patriarchats, die “im Keim nicht nur Sklaverei …, sondern auch
Leibeigenschaft [enthält], da sie von vornherein Beziehung hat auf
Dienste für Ackerbau. Sie enthält in Miniatur alle die Gegensätze in
sich, die sich später breit entwickeln in der Gesellschaft und in ihrem
Staat” (Engels 1984[1884]: 71; Hervorhebung im Original), womit Engels
auf den Klassenantagonismus zwischen den Besitzern von
Produktionsmitteln und den Nicht-Besitzern von Produktionsmitteln
verweist. Mit der “bevorstehenden Wegfegung der kapitalistischen
Produktion” sieht Engels daher das Auftreten eines neuen
Menschengeschlecht[es] verbunden: “ein Geschlecht von Männern, die nie
in ihrem Leben in den Fall gekommen sind, für Geld oder andre soziale
Machtmittel die Preisgebung einer Frau zu erkaufen, und von Frauen, die
nie in den Fall gekommen sind, weder aus irgendwelchen andern
Rücksichten als wirklicher Liebe sich einem Mann hinzugeben, noch dem
Geliebten die Hingabe zu verweigern aus Furcht vor den ökonomischen
Folgen” (Engels 1984[1884]: 98/99).
Es verwundert daher nicht, dass der Feminismus wie der Kommunismus
oder Sozialismus nach Engels und anderer Vertreter des Sozialismus (wie
August Bebel) im 19. Jahrhundert ebenso wie heute in einem engen
Zusammenhang standen bzw. stehen, und beide mehr oder weniger durch
Eigentums- Leistungs-, Wettbewerbs- und allgemeine
Wirtschaftsfeindlichkeit sowie durch Rationalitätsfeindlichkeit und eine
konsequente Individualismus- und allgemeine Männerfeindlichkeit
gekennzeichnet sind, denn damit das “neue Geschlecht” Engels’ auftreten
kann, muss “[d]ie platte Habgier … [als] die treibende Seele der
Zivilisation von ihrem ersten Tag bis heute, Reichtum und abermals
Reichtum und zum drittenmal Reichtum, Reichtum nicht der Gesellschaft,
sondern dieses einzelnen lumpigen Individuum, ihr einzig entscheidendes
Ziel” (Engels 1984[1884]: 204; Hervorhebung d.d.A), überwunden werden,
und nach Engels sind die “lumpigen Individu[en]“, die aus “platte[r]
Habgier” nach Reichtum streben, ja Männer. Frauen erscheinen daher nicht
nur als Opfer historischer Umstände, sondern als Opfer von Männern, und
dies suggeriert, Frauen seien bessere Menschen als Männer, seien
kollektivistisch, würden nicht oder weniger nach Reichtum streben als
Männer. Männer und Frauen stehen einander daher nicht nur als
antagonistische Klassen gegenüber, sondern sie werden nach moralischen
Maßstäben in ein hierarchisches Verhältnis gestellt; Frauen werden
Männern moralisch übergeordnet.FN3
Bei der Entwicklung der beschriebenen Auffassung vom Patriarchat hat
sich Engels – wie der Untertitel des “Ursprungs der Familie” schon sagt –
sehr viel von dem übernommen, was der Amerikaner Lewis Henry Morgan in
seinem Buch mit dem Titel “Ancient Society” (Morgan 1878) beschrieben
und argumentiert hat. Engels hat dieses Buch allerdings nie selbst
gelesen, sondern hat seine Kenntnis dessen, was in diesem Buch steht,
aus den Notizen bezogen, die Marx aufgrund seiner Lektüre des Buches von
Morgan angefertigt hat (Eller 2011: 105; 107; Engels 1984[1884]: 217,
Anmerkung 10). Wie oben bereits angedeutet hat Engels auch Anleihen bei
Johann Jakob Bachofen gemacht (Eller 2011: 109), und einiges spricht
dafür, dass Engels sein Interesse an der Stellung von Frauen in der
Gesellschaft erst entwickelt hat, nachdem er August Bebels “Die Frau und
der Sozialismus” “Bebel 1974[1879]) gelesen hatte (Eller 2011: 115).
Und bereits Bebel, der Begründer der sozialdemokratischen
Arbeiterbewegung und (gemeinsam mit Karl Liebknecht) der
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Jahr 1869, hat in diesem Buch
formuliert: “Die Geltung des Mutterrechts bedeutete Kommunismus,
Gleichheit aller; das Aufkommen des Vaterrechts bedeutete Herrschaft des
Privateigentums, und zugleich bedeutete es Unterdrückung und Knechtung
der Frau” (Bebel 1974[1879]: 63; Hervorhebung im Original). Gleichheit
aller, Kommunismus und “Mutterrecht” werden von Bebel also ebenso wie
von Engels in einem gegenseitigem Bedingungsverhältnis gesehen; wer das
eine will, muss auch das andere wollen (oder zumindest in Kauf nehmen).
Kritik:
Zunächst gilt für Engels Darstellung, was schon für die Darstellung
von Harris galt, dass sie nämlich keinen Nachweis der Existenz eines
Patriarchats, hier: eines (mehr oder weniger?) universellen Patriarchats
seit Anbruch der menschlichen Zivilisation enthält. Dies sieht er als
gegeben an, möglicherweise deshalb, weil hinsichtlich der Beziehungen
zwischen den Geschlechtern in den westlichen Gesellschaften zu seiner
Zeit sicherlich von einer juristisch abgesicherten Bevorteilung von
Männern gegenüber Frauen in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens
gesprochen werden kann. Er möchte vielmehr belegen, dass es zum
Patriarchat nicht nur eine Alternative in der Zukunft geben könnte,
sondern dass es im Matriarchat einmal eine universell gelebte
Alternative zum Patriarchat gegeben hätte. Hierin folgt er ganz und gar
Lewis Henry Morgan, dessen Buch –wie es sich in den Notizen von Marx
präsentiert hat (s.o.) – niedergeschlagen haben – er im “Ursprung der
Familie…” verarbeitet hat.FN4
Insbesondere stützt sich Engels auf Morgans Überzeugung, dass
bestimmte Verhältnisse bei den Irokesen, einem Zusammenschluss
verschiedener indigener Gruppen im Nordosten Nordamerikas, und
insbesondere ihr matrilineares Verwandtschaftssystem und ihre
Verwandtschaftsterminologie “Überbleibsel” eines ehemals existierenden
Matriarchats seien. Bei den Irokesen werden die Schwestern der Mutter,
aber nicht die des Vaters, mit dem Begriff bezeichnet, mit dem die
Mutter selbst bezeichnet wird, und auch die Parallelcousinen und
Schwestern werden mit demselben Terminus bezeichnet (Kreuzcousinen aber
mit einem anderen) (Womack 1998: 163).FN5
Für Morgan zeigte die Praxis, bei matrilinearer Abstammungsregel
kollaterale Verwandte mit denselben Termini wie lineare Verwandte zu
bezeichnen, dass in der frühen Menschheit Gruppenehen üblich gewesen
seien, denn wenn die Schwestern meiner Mutter ebenso wie meine Mutter
die Frauen (auch) meines Vaters sind, dann mag es plausibel erscheinen,
dass ich sie gleichermaßen als meine Mütter bezeichne und deren Töchter
(also meine Parallelcousinen mütterlicherseits) als meine Schwestern.
Allerdings sollte man sich nicht – wie Morgan – von der Existenz
klassifikatorischer Verwandtschaftsterminologien (der Begriff stammt von
Morgan selbst), bei denen für lineare und kollaterale Verwandte
dieselben Bezeichnungen verwendet werden (Srivastava 2005: 101/102),
darüber hinwegtäuschen lassen, dass gleiche Bezeichnungen nicht
unbedingt gleichartige Beziehungen und damit gleichartige Rechte und
Pflichten gegenüber denjenigen, die gleich bezeichnet werden,
implizieren. So wenden sich auch bei den Irokesen Kinder in der Regel
zunächst an ihre eigene (biologische) Mutter, wenn sie Hunger oder sonst
ein Bedürfnis spüren, als an deren Schwestern, und von der biologischen
Mutter erwartete man auch bei Irokesen normalerweise zuerst, dass sie
versucht, die Bedürfnisse ihres Kindes zu befriedigen.FN6
Darüber hinaus bilden Abstammungs- und Erbschaftsfolgen, die nur die
weibliche Linie anerkennen, also Matrilinearität, ebenso wie
Matrilokalität (d.h. die Wohnfolge eines Paares bei der Familie der
Frau; Panoof & Perrin 1982: 202) oder die Existenz von Frauen in
wichtigen Ämtern noch kein Matriarchat, also keine Mütter- oder
Frauenherrschaft, ab. So herrscht z.B. bei den Nayar in Indien
Matrilinearität. Einer Matrilineage gehören alle Männer und Frauen an,
die auf eine bestimmte Vorfahrin zurückgeführt werden können und Kinder
weiblicher Mitglieder der Gruppe sind. Diese Gruppe stellt eine Art
Kooperative dar, die ein bestimmtes Land und bestimmte Häuser besitzt
und bestimmte Rechte an ihren Mitgliedern (z.B. mit Bezug auf ihre
Arbeitskraft) hat. Die Kontrolle über diesen Besitz übt in der Regel
aber der älteste Mann in der Gruppe aus. Man würde allerdings auch nicht
bloß aufgrund dieser zuletzt genannten Tatsache von einem Patriarchat
bei den Nayar sprechen wollen, denn die Kontrolle, die dieser älteste
Mann ausübt, ist keineswegs umfassend und erfolgt nicht in despotischer
Weise; vielmehr kann er angemessen als “Manager” des Besitzes der Gruppe
bezeichnet werden (Radcliffe-Brown 1965[1952]: 36/37).
Dies illustriert, dass es bei der Beschreibung gesellschaftlicher
Verhältnisse wichtig ist, zwischen der gelebten Realität in
verschiedenen Lebensbereichen und zwischen der gelebten Realität und den
verwendeten Bezeichnungen oder Nomenklaturen zu ihrer Beschreibung zu
unterscheiden. Dementsprechend sind erhebliche Zweifel daran angebracht,
dass Matrilinearität oder eine klassifikatorische
Verwandtschaftsterminologie ein Überbleibsel eines ehemals existierenden
Matriarchats sein müssten oder – umgekehrt – Patrilinearität immer ein
Patriarchat anzeigen müsse, und damit daran, dass Morgan und Engels mit
ihrer These von einem ursprünglichen Matriarchat Recht haben. Es
bedeutet auch, dass die Begriffe “Matriarchat” und “Patriarchat” als
zusammenfassende Bezeichnungen für Konglomerate von Abstammungs- und
Erbfolgen, Wohnortsregelungen und Machtverhältnissen unangemessen sind;
sie verallgemeinern die beobachtbare Realität in unangemessener Weise,
indem sie von einem einzigen Elemente der Realität (wie z.B.
Verwandtschaftsbezeichnungen) auf die gesamten gesellschaftlichen
Verhältnisse schlussfolgern. Mit dem Grad, in dem diese Begriffe
pauschalisieren, wird ihr Informationsgehalt aber ärmer (Zimmer 1986:
19), und soweit die Zusammenhänge der Elemente, die gemeinsam ein
Patriarchat oder Matriarchat ausmachen sollen, genauer betrachtet
werden, erweisen sie sich regelmäßig als schwach, teilweise als nicht
vorhanden, aber niemals als zwingend.
Die pauschalisierenden Begriffe “Patriarchat” und “Matriarchat”
werden daher der empirisch beobachtbaren Realität nicht gerecht, und
deshalb werden diese Begriffe in der Ethnologie seit mehreren Dekaden so
gut wie nicht mehr benutzt,FN7
auch nicht in der feministischen Anthropologie (Uberoi 2003: 90), denn
selbst dann, wenn man den Glauben an eine systematische Unterdrückung
von Frauen durch Männer nicht aufgeben möchte, gilt: “… the concept of
patriarchy posits the unversality of women’s subordination in a way that
tends to mask the specificities of different social formations,
cultures, and stages in the individual life cycle” (Uberoi 2003: 91/92).
Fussnoten
FN1 Um nur einige Beispiele aus der großen Zahl von
Sudien zu diesem Thema zu geben, seien genannt: Adams 1997; Haley &
Wilcoxon 1997; Hanson 1989; Hobsbawm & Ranger 2012; Linnekin 1983.
FN2 Bachofen gilt der Mythos als “getreue[r] Ausdruck des Lebensgesetzes jener Zeiten, in welchen die geschichtliche Entwicklung der alten Welt ihre Grundlagen hat, als die Manifestation der ursprünglichen Denkweise, als unmittelbare historische Offenbarung, folglich als wahre, durch hohe Zuverlässigkeit ausgezeichnete Geschichtsquelle” (Bachofen 1975[…1861]: 5). Zur Kritik dieser Auffassung bzw. zu einer alternativen und den historischen Tatsachen, soweit bekannt, angemesseneren Interpretation einiger der von Bachofen zur Stützung seiner Mutterrechtstheorie angeführten Mythen s. Wesel 1980: 54-65.
FN3 Dies lässt sich auch empirisch belegen. So berichtet z.B. Gemünden von seiner Studie: “Diese Ergebnisse zeigen, dass die Rolle des Hilfsbedürftigen und [die] Rolle des Opfers für Frauen sozial anerkannt ist. Umgekehrt bestätigen sie die Annahme, dass es für Männer schwerer ist, Hilfe von Freunden oder Verwandten zu erhalten …. Die Misshandlung von Frauen wird als schwerwiegender eingestuft als Gewalt an Männern, und Frauen nehmen tatsächlich häufiger Hilfe von Freunden in Anspruch; hinzu kommt, dass Frauen üblicherweise eine höhere soziale Kompetenz als Männern zugesprochen wird und angenommen wird, dass Frauen besser über ihre Probleme sprechen können” (Gemünden 1996: 261).
FN4Einer der wenigen Punkte, in denen sich Engels von Morgan unterscheidet, ist Engels großes Interesse an der Rolle der Sexualität mit Bezug auf die gesellschaftliche Organisation bzw. den postulierten Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat und seine Auffassung von Männern als stark von sexueller Lust angetrieben und von Frauen als sexuell passiv oder Opfer der männlichen sexuellen Lust. Morgan geht im Unterschied zu Engels nicht davon aus, dass Frauen im Zuge der Promiskuität der Menschen im Zustand der Wildheit sexuellen Übergriffen von Männern ausgesetzt gewesen seien, sondern “either equal to, or dominant over, men, and … in control of sexual relations, descent, and property” (Fedigan 1986: 30) gewesen seien.
FN5 Das heißt, die Tochter der Schwester meines Vaters (also meiner Tante väterlicherseits) und die Tochter des Bruders meiner Mutter (also meines Onkels mütterlicherseits), meine so genannten Kreuzcousinen, werden von mir mit demselben Terminus bezeichnet. Die Tochter der Schwester meiner Mutter (d.h. meiner Tante mütterlicherseits) und die Tochter des Bruders meines Vaters (meines Onkels väterlicherseits) – sie sind meine Parallelcousinen – bezeichne ich ebenfalls mit demselben Terminus, der aber ein anderer ist als derjenige, den ich für meine Kreuzcousinen verwende (vgl. Panoff & Perrin 1982: 173 und 235).
FN6 Beispielsweise zitiert Mann aus einem Bericht, den Charlevoix im Jahr 1761 über die Pflege von Säuglingen bei den Irokesen gegeben hat, wie folgt: “The care which the mothers take of their children while they are still in the cradle is beyond all expression. … They never leave them, they carry them everywhere about with them” (Mann 2004: 271). Und Shafer berichtet: “Children were greatly loved, …. But each family had only the number of children which could care for adequately, seldom more than three …” (Shafer 1990: 75).
FN7 Und zwar seit der Mitte der 1960er-Jahre, um genau zu sein, denn in dieser Zeit unterzog der britische Sozialanthropologe Radcliffe-Brown die Argumentation Morgans und anderer Argumentationen für ein Matriarchat oder angebliche Überbleibsel hiervon in einfachen Gesellschaften einer Kritik (in Radcliffe-Brown 1965[1952]). “Radcliffe-Brown … noted that the terms patriarchal and matriarchal were too vague to be scientifically useful, and he operationalized these terms so that he could scrutinize them empirically. Radcliffe-Brown did not redefine the terms to save (or necessarily destroy) them. Then, using, cross-cultural, empirical accounts, Radcliffe-Brown demonstrated that no society conforms to a patriarchy or a matriarchy” (Kuznar 2008: 42/43).
3. Das Patriarchat als gesellschaftliche Organisationsform postindustrieller, moderner Staaten oder der Weltbevölkerung insgesamt
Die Auffassung, dass derzeit ein Patriarchat in mehr oder weniger
allen Gesellschaften der Erde herrsche oder “zählebige
[patriarchalische] Grundstrukturen” (Klenner 2002) (nahezu) überall auf
der Welt, auch in postindustriellen, modernen Gesellschaften, Frauen
systematisch benachteiligten, ist die Basis des Staatsfeminismus, wie er
nicht nur von einzelnen Staatsregierungen, insbesondere in der
westlichen Welt, seit den 1960er-Jahren institutionalisiert worden ist,
sondern als leitende sozialpolitische Idee auch in internationalen
Organisationen (wie z.B. der EU) etabliert ist.[1]
Ein Nachweis darüber, dass diese Auffassung in der Realität zutrifft,
erfolgt im Rahmen des Staatsfeminismus nicht. Anscheinend wird aus der
Tatsache, dass Frauenpolitik weltweit in staatlichen Organisationen
verankert ist, geschlossen, dass sie notwendig sein müsse, und von
dieser Notwendigkeit wiederum wird auf die Existenz umfassender
patriarchalischer Strukturen geschlossen. Deren Behauptung soll
Fördermaßnahmen für Frauen begründen wie z.B. die Einrichtung von
Positionen für Frauenbeauftragte in öffentlichen Verwaltungen und an
Hochschulen und eine Vielzahl von Mentoring- und Coachingprogrammen für
Frauen.
Der Staatsfeminismus erschöpft sich jedoch nicht in der Unterstützung oder Förderung von Frauen, die
einen Unterstützungs- oder Förderbedarf im Rahmen gegebener
Verhältnisse haben bzw. Unterstützung oder Förderung explizit nachfragen,
sondern er fasst Frauen als mehr oder weniger homogene Gruppe auf und
unterstellt ihnen ein gemeinsames Interesse, wie es z.B. in
Quotenregelungen zum Ausdruck kommen soll. Und er strebt einen Umbau der
Gesellschaft an: die gesellschaftlichen Verhältnisse sollen so
reguliert und gesteuert werden, dass die Vorstellung, die die für den
Staatsfeminismus Verantwortlichen von Gleichstellung (und nicht von Gleichberechtigung) haben, verwirklicht ist.[2]
Kritik:
Wenn von der Verankerung von Frauenpolitik in staatlichen
Organisationen auf ihre Notwendigkeit oder auch nur Erwünschtheit durch
die Bevölkerung (und insbesondere die weibliche Bevölkerung) geschlossen
wird, und hieraus wiederum geschlossen wird, dass patriarchalische
Strukturen vorliegen müssen, und schließlich weiter geschlossen wird,
dass (mehr) Fördermaßnahmen für Frauen notwendig wären, weswegen die
Verankerung von Frauenpolitik notwendig war und weiterhin notwendig ist,
dann handelt es sich um einen Zirkelschluss bzw. eine Tautologie, also
um eine logisch nicht akzeptable Begründung. Ein alternativer Nachweis
patriarchalischer Strukturen wird im Rahmen des Staatsfeminismus aber
nicht geführt.
Wenn man diejenigen Indikatoren heranzieht, die normalerweise
herangezogen wurden, wenn man ein Patriarchat oder Matriarchat
identifizieren wollte, insbesondere Abstammungs- und Erbfolgeregeln
sowie rechtliche Ungleichstellung von Frauen und Männern, dann lässt
sich festhalten, dass heute in weiten Teilen der Erde und
jedenfalls in der westlichen Welt von einem Patriarchat oder
patriarchalischen Strukturen keine Rede sein kann: Sowohl die
väterliche als auch die mütterliche Abstammungslinie werden anerkannt,
Menschen erben sowohl von ihren Müttern als auch von ihren Vätern, und
Männer und Frauen sind rechtlich gleichgestellt und werden in der Regel
auch so behandelt. Es gibt keine Hindernisse für Frauen mit Bezug auf
ihre Bildung oder die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, und ein großer
Teil von Frauen ist erwerbstätig. Der Lohn aus ihrer Erwerbstätigkeit
ist ihr Eigentum, das ihnen eine unabhängige und selbstbestimmte
Lebensführung erlaubt. Ab 18 Jahren sind Frauen ebenso wie Männer
volljährig, vertragsfähig und rechtlich von ihren Eltern unabhängig. Bei
Eheschließung geht das Eigentum einer Frau nicht in den Besitz des
Mannes über, sie hat ebenso wie der Mann das Recht, sich scheiden zu
lassen, und sie hat eine Vielzahl von Rechtsansprüchen gegenüber ihrem
Mann und dem Steuerzahler im Fall der Scheidung und im Hinblick auf die
Aufzucht von Kindern. Frauen, die nie oder nur für kurze Zeit vollzeit
oder überhaupt nie erwerbstätig waren, hatten und haben Ansprüche auf
die Renten, die sich ihre Ehemänner durch Erwerbstätigkeit erworben
haben, und außerdem werden auch Ausbildungs- und Erziehungszeiten mit
Bezug auf Rentenansprüche anerkannt.
Es verwundert daher nicht, dass der Staatsfeminismus sich schwer tut,
in der westlichen Welt und den meisten nicht-westlichen Staaten
Elemente dessen festzustellen, was als Teil patriarchalischer Strukturen
gelten könnte. Er hat sich dementsprechend darauf zurückgezogen, die
Wirkung aktueller oder vergangener patriarchalischer Strukturen überall
dort zu behaupten, wo ein gesellschaftliches Gut nicht zu mindestens
fünfzig Prozent auf Frauen entfällt, und konsequenterweise ist das
wichtigste Schlagwort des Staatsfeminismus im öffentlichen Diskurs auch
nicht mehr das “Patriarchat”, sondern die “Geschlechtergleichstellung”
bzw. die Ergebnisgleichheit für die Geschlechter. Es geht nicht mehr um
die Beseitigung von Herrschaft von Männern über Frauen, sondern um “den
Abbau noch bestehender sozialer
Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen” (Klenner 2002).[3] Die
Rede von “patriarchalischen Strukturen” dient in diesem Zusammenhang
dazu, jede ungleiche Verteilung eines Gutes auf die Geschlechter als
illegitim und daher veränderungswürdig zu kennzeichnen – ungeachtet der
Frage, ob diese Verteilung ein Ergebnis von Benachteiligungen oder von
freien Willensentscheidungen von Männern und Frauen sind.[4]
Sie dient aber auch dazu, andere Verteilungsprinzipien als das
Gleichheitsprinzip zu diskreditieren, denn um Gleichheit herzustellen,
müssen Gerechtigkeitsprinzipien, nach denen bislang Verteilungen
vorgenommen wurden, z.B. das Prinzip der Leistung, außer Kraft gesetzt
werden. Und weil diese Prinzipien rational begründet sind und
individuelle Gerechtigkeit (statt Gruppengleichheit) schaffen, werden
sie als Ausdruck männlicher Rationalität und männlichen Individualismus
bezeichnet, die weiblicher Irrationalität – in der feministischen
Literatur spricht man allerdings lieber von Sinnlichkeit oder
Einfühlungsvermögen[5] – und weiblichem Kollektivismus entgegenstehen.[6]
Und dies verweist zurück auf Engels und seinen Traum von der Rückkehr
in den Urkommunismus, der frei ist von angeblich männlicher “platte[r]
Habgier” und der Orientierung am “lumpigen Individuum” (Engels
1984[1884]: 204), so dass das “Patriarchat” zur Bezeichnung bestimmter
realer Verhältnisse zwar untauglich ist, aber als Denkfigur im Rahmen
bestimmter Weltanschauungen und im Kampf um Ressourcen heute wie damals
von ungebrochener Aktualität und politischer Relevanz ist.
Fussnoten:
[1] Im ersten Band der “Routledge International Encyclopedia of Women” wird Staatsfeminismus oder “state feminism” wie folgt definiert: “… state feminism refers to mobilization within and through formal government organizations charged with attending to women’s interests, such as the Women’s Bureau of the U.S. Department of Labor …. State feminism includes mobilization within international quasi-governmental organizations such as the United Nations and the European Union” (Routledge International Encyclopedia of Women 2000: 10/11).[2] Eine solche Feststellung mag das ein oder andere Gemüt erregen. Dabei kann dies bereits durch die Durchsicht eines einzigen, beliebigen Dokumentes des Staatsfeminismus gezeigt werden. Und weil auch diese Feststellung voraussichtlich das ein oder andere Gemüt erregen wird, folgt hier der – notwendigerweise etwas längere – Nachweis, und zwar anhand des ersten Gleichstellungsberichtes der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 (Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend 2011):
Bereits im Titel des Berichtes wird versucht, Chancengleichheit und Gleichstellung in eins zu setzen. er lautet: “Neue Wege – Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf. Erster Gleichstellungsbericht”. Eine solche In-Eins-Setzung ist aber logisch unmöglich, denn gleiche Chancen sind nur wichtig im Rahmen von Verteilungen, die nach einem Gerechtigkeitsprinzip vorgenommen werden sollen. Z.B. muss jeder dieselbe Chance auf Bildung haben, wenn mehr oder weniger angenehme und lohnende Arbeitsplätze nach dem meritokratischen Prinzip in Bezug auf das, was man im Bereich der eigenen Bildung geleistet hat, verteilt werden sollen. Wenn dagegen alle Personen unabhängig davon, was sie in Sachen Bildung geleistet haben, Arbeitsplätze erhalten sollen oder alle Arbeitsplätze mit derselben Lohnzahlung verbunden werden, also alle im Ergebnis gleich gestellt (nicht: im Verlauf eines Entscheidungs- oder Verteilungsprozesses gleichermaßen nach bestimmten Kriterien behandelt!) werden sollen, dann ist das Konzept der Chancengleichheit völlig überflüssig. Wenn beschlossen ist, dass 100 Euro unter 10 Personen gleich verteilt werden sollen – die Personen sollen bei der Auszahlung also gleichgestellt werden –, dann ist die Chance per definitionem für jeden gleich. Oder besser: Von Chancen zu reden, macht überhaupt keine Sinn mehr, denn zur In-Empfangnahme einer vorher festgelegten (gleichen) Auszahlung für jede/n ist keinerlei “Chance” auf irgendetwas mehr notwendig.
Man lese vor diesem Hintergrund im Bericht weiter, z.B. auf Seite 10, wo es heißt: “Eine zeitgemäße Gleichstellungspolitik zielt auf Gleichberechtigung und Chancengleichheit für Frauen und Männer. Sie will es Frauen und Männern ermöglichen, sich von starren Rollenmustern zu lösen, und ihre Rolle selbst zu definieren. Die Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer der Bundesregierung will ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Jungen und Männer ihre Rolle neu finden müssen[!]. Während Frauen über Jahrzehnte der Frauenbewegung und der institutionalisierten Frauenpolitik für sich neue Rollenbilder entwickelt haben, Erwerbstätigkeit und Kinder nicht mehr als Gegensätze gelten, gibt es für viele Männer eine Diskrepanz zwischen der Geschlechterrolle, die ihre Väter gelebt haben, zwischen gesellschaftlichen Zuschreibungen wie der des Familienernährers und eigenen Rollenvorstellungen. … Die Kenntnis darüber, wie Jungen leben und wie sie leben wollen, soll Hilfestellungen geben, um durch geeignete politische Maßnahmen den Prozess des Rollenwandels zu unterstützen” (Hervorhebungen d.d.A.). Hier wird versucht, Gleichstellung mit Gleichberechtigung in einen oberflächlichen Einklang zu bringen, indem Gleichberechtigung und Chancengleichheit verbal Rechnung getragen wird. Es wird aber unmissverständlich klar gemacht wird, dass im Interesse von Gleichstellung Jungen und Männern eben kein Recht eingeräumt wird, ihre Geschlechterrollen nicht verändern zu wollen oder eine Männerrolle für sich zu wählen, die “ihre Väter gelebt haben” (welche auch immer das sein mag), denn sie “müssen” [!] ihre Rolle neu finden – ob sie wollen oder nicht. Dementsprechend dient die Kenntnis darüber, wie Jungen leben wollen, auch nur dazu, politische Maßnahmen zu ihrer Umerziehung anzuleiten, denn wie Jungen leben wollen, ist im Zuge der Gleichstellungspolitik kein Umstand, der schlicht akzeptiert und respektiert werden müsste. Wenn eine Gleichverteilung im Ergebnis (man spricht in der Literatur normalerweise von Verteilungsgleichheit, eben im Gegensatz zu Chancengleichheit, s.o.) mit Bezug z.B. auf Erwerbsarbeit und Kinderaufzucht erreicht werden soll, dann kann man ja gerade keine Rücksicht auf die individuellen Wünsche von Männern und Frauen nehmen, denn wenn man das tut, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die resultierende Verteilung ungleich ausfallen wird.
An einer anderen Stelle, auf Seite 46, wird darauf hingewiesen, dass in “anderen für Beschäftigung und Karrieren zuständigen Systemen [...] Effizienzkriterien [dominieren]“, in denen “nur mühsam vermittelbar [sei], dass Gleichstellung etwa auch in der Forschung oder in Entscheidungsgremien der Wirtschaft kein Gegensatz zu Effizienz und Innovationsfähigkeit ist, sondern innovative Gesellschaften sich durch die Ausschöpfung aller Begabungspotenziale auszeichnen”. Hier wird – implizit – angesprochen, dass Effizienzkriterien Gerechtigkeitskriterien zugrunde liegen, dass es also z.B. effizient ist, diejenigen Personen einzustellen, die nach meritokratischen Kriterien diejenigen sind, die am besten für die Position geeignet sind. Gerechtigkeitskriterien sind aber notwendigerweise individualbezogen und stehen (schon) deshalb im Gegensatz zur Vorstellung, Gleichverteilungen für Gruppen erreichen zu wollen. Im Bericht wird der Gegensatz offensichtlich gesehen, und es wird versucht, diesen Gegensatz “aufzulösen”, indem behauptet wird, dass diejenigen, die z.B. aufgrund von Quoten die Positionen besetzen, die in Abwesenheit von Quoten durch diejenigen besetzt worden wären, die für die Position am besten geeignet wären, nicht nur (bislang anscheinend unentdeckte) Begabungspotenziale darstellen würden, sondern diese Begabungen in der Realität vorhanden wären oder mit der Zeit entwickelt würden, dass sich also Potenziale irgendwie und irgendwann in Realität transformieren würden. Idealerweise würden sich in allen quotierten oder quotierbaren Bevölkerungsgruppen gleiche Verteilungen von Begabungen oder Interessen zeigen, aber die Wahrscheinlichkeit hierfür ist gering, denn selbst dann, wenn in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen gleich viele und gleichermaßen Begabte zu finden wären, so würden sie einander hinsichtlich ihrer Präferenzen kaum so entsprechen, dass sich am Ende eine Gleichverteilung nach Geschlecht ergäbe. Kurz: Solange es Individuen gibt, wird man mit Verteilungs- bzw. Ergebnisungleichheit rechnen müssen, aber Verteilungsgerechtigkeit herstellen können. Im Kollektivismus wird man Verteilungs- oder Ergebnisgleichheit vorgeben können, damit aber auf jede Form von Verteilungsgerechtigkeit verzichten. Im Kollektivismus wird die Gerechtigkeit für das “lumpige Individuum” (um mit Engels zu sprechen) der Gleichheit für als homogen und real existierend vorgestellte Gruppen geopfert.
Bereits die zitierten Stellen aus einem einzigen Dokument des Staatsfeminismus lassen also erkennen, dass sich dessen Vertreter klar darüber sind, dass sie einen Umbau der Gesellschaft in Richtung Kollektivismus und Ergebnisgleichheit (und weg von Individualismus und Verteilungsgerechtigkeit) anstreben, der auf einigen Widerstand trifft, und dass es notwendig sein wird, die bisher wirksamen Werte, Normen, Standards und Verfahrensweisen zu diskreditieren (wie bestimmte Auffassungen von Männlichkeit) oder zu vereinnahmen (wie Gerechtigkeitsprinzipien und Effizienzkriterien), um diesen Umbau zu erreichen.
[3] Was die Einschätzung der zitierten Autorin zur Geschlechtergleichheit betrifft, so ist sie zunächst der Auffassung: “Von Geschlechtergleichheit kann in Deutschland derzeit nicht die Rede sein”, besinnt sich aber im folgenden Absatz darauf, dass “[d]ie Situation [...] widersprüchlich [sei]. Einerseits gibt es Veränderungen in Richtung von mehr Egalität zwischen den Geschlechtern. … Auf der anderen Seite sind die Fakten ebenso wenig bestreitbar, die eine erhebliche Schlechterstellung von Frauen belegen: Erwerbsbeteiligung, Erwerbsmuster und -verläufe unterscheiden sich zwischen Frauen und Männern nach wie vor beträchtlich. Bei den Erwerbseinkommen haben sich die Relationen nur unwesentlich verbessert. In Führungspositionen dringen Frauen trotz der Qualifikationsgewinne erheblich seltener vor. Der größte Teil der Haus- und Familienarbeit wird weiterhin von Frauen erbracht, und ihr Arbeitslosigkeits- und Verarmungsrisiko ist größer als das von Männern. Die Partizipation von Frauen im politischen Bereich ist keineswegs paritätisch” (Klenner 2002).
Diese Argumentation ist natürlich eine willkürliche: Die “Schlechterstellung” von Frauen darin besteht, dass bestimmte Güter oder Risiken zu unterschiedlichen Anteilen auf Frauen und Männer verteilt sind. Selbstverständlich ließe sich ebenso gut eine Reihe von Fällen anfügen, in denen ein geringerer Anteil gesellschaftlich hochgeschätzter Güter auf Männer als auf Frauen entfällt (z.B. die Lebenserwartung) oder Männer deutlich größere Risiken haben als Frauen (wie z.B. das Unfallrisiko, die Selbstmordrate oder die Beschäftigung in gefährlichen oder bekanntermaßen gesundheitsgefährdenden Berufen). Wollte man dem Beispiel von Klenners Argumentation folgen, müsste man daher eine Schlechterstellung von Männern gegenüber Frauen in der Gesellschaft und damit einen Mangel an Geschlechtergleichheit zuungunsten von Männern konstatieren und deshalb für eine bessere Männerpolitik oder gar Staatsmaskulismus eintreten.
[4] Freie Willensentscheidungen, die zu unterschiedlichen Verteilungen von Gütern auf Männer und auf Frauen führen, müssen im Rahmen des Staatsfeminismus als Ergebnisse falschen Bewusstseins im Sinne von Marx interpretiert werden. Ungeachtet der Frage, wie es zu unterschiedlichen Verteilungen von Gütern auf Frauen und Männer kommt, muss man sich mit Karin Gottschall fragen, ob “[a]ngesichts zunehmender sozialer Differenzierungen unter Frauen… Geschlechtszugehörigkeit als ein dauerhafter und alle gesellschaftlichen Bereiche gleichermaßen prägender sozialer Platzanweiser noch angemessen ist” (Gottschall 2000: 15/16).
[5] So liest man z.B. in Ursula Meyers “Einführung in die feministische Philosophie” die folgenden Sätze: “Die feministische Vernunftkritik weist nach, dass das rationale Subjekt, das auch in der modernen Philosophie als Grundprinzip der Erkenntnis und der Moral gilt, in Abgrenzung zur Natur und Sinnlichkeit und damit zur Weiblichkeit definiert wird. … Aus dieser Situation resultieren auch die Schwierigkeiten von Frauen mit der patriarchal geprägten Vernunft” (Meyers 2004: 33; Hervorhebung d.d.A.). Man kann sich vorstellen, was Vertreterinnen der frühen Frauenbewegung, die sie als emanzipatorische Bewegung verstanden, oder deren Vorläuferinnen dazu gesagt hätten, dass man ihnen einhundert oder gar zweihundert Jahre später von feministischer Seite “Schwierigkeiten mit der [als Rationalität gefassten] … Vernunft” attestiert. Vgl. hierzu Wollstonecraft 1796: u.a. 62, 122, 210).
[6] Der Feminismus ist in großen Teilen geprägt von Rationalitäts- und Individuen- sowie Wissenschaftsfeindlichkeit, wobei offenbar davon ausgegangen wird, dass man, nur, weil man weiblichen oder männlichen Geschlechts ist, unterschiedlich empfinde, denke und funktioniere, also von einer Wesensdifferenz von Männern und Frauen auszugehen scheint, was wiederum den Feminismus in weiten Teilen als essentialistische Ideologie ausweist. Einige Beispiele hierfür sind: Konnertz 1991; Krüll 1990; Ostner & Lichtblau 1992; Schaeffer-Hegel & Watson-Franke 1989; Schwickert 2000.
Literatur
Abelung, Johann Christoph, 1777: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wöterbuches der hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Dritter Theil, von L-Scha. Leipzig: Johann Gottlieb Immanuel Breitkopf.Adams, Kathleen M., 1997: Ethnic Tourism and the Renegotiation of Tradition in Tana Toraja (Sulawesi, Indonesia). Ethnology 36, 4: 309-320.
Bachofen, Johann Jakob, 1975[1861]: Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur. Eine Auswahl herausgegeben von Hans-Jürgen Heinrichs. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Bebel, August, 1974[1879]: Die Frau und der Sozialismus. Als Beitrag zur Emanzipation unserer Gesellschaft, bearbeitet und kommentiert von Monika Seifert. Stuttgart: Dietz.
Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Neue Wege – Gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf. Erster Gleichstellungsbericht. Berlin: Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, 2011;
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Erster-Gleichstellungsbericht-Neue-Wege-Gleiche-Chancen,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf
Burkart, Günter, 2008: Familiensoziologie. Konstanz: UVK.
Coerver, Don M., Pasztor, Susanne B. & Buffington, Robert, 2004: Mexico: An Encyclopedia of Contemporary Culture and History. Santa Barbara: ABC-CLIO, 199-203.
Eller, Cynthia, 2011: Gentlemen and Amazons. The Myth of Matriarchal Prehistory, 1861-1900. Berkeley: University of California Press.
Engels, Friedrich, 1984[1884]: Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats. Im Anschluss an Lewis H. Morgans Forschungen. Berlin: Dietz Verlag.
Fedigan, Linda Marie, 1986: The Changing Role of Women in Models of Human Evolution. Annual Review of Anthropology,15: 26-66.
Gemünden, Jürgen, 1996: Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Intimpartnerschaften. Ein Vergleich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auf der Basis einer kritischen Auswertung empirischer Untersuchungen. Marburg: Tectum.
Gottschall, Karin, 2000: Soziale Ungleichheit und Geschlecht. Kontinuitäten und Brüche, Sackgassen und Erkenntnispotentiale im deutschen soziologischen Diskurs. Opladen: Leske+Budrich.
Haley, Brian D. & Wilcoxon, Larry R., 1997: Anthropology and the Making of Chumah Tradition. Current Anthropology 38, 5: 761-794.
Hanson, Allan, 1989: The Making of the Maori. Culture Invention and its Logic. American Anthropologist 91, 4: 890-902.
Harris, Marvin, 1989: Kulturanthropologie. Ein Lehrbuch. Frankfurt/M.: Campus.
Bernhard, J. Gary, 1988: Primates in the Classroom. An Evolutionary Perspective on Children’s Education. Amherst: The University of Massachusetts Press.
Hillmann, Karl-Heinz, 1994: Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart: Alfred Kröner.
Hobsbawm, Eric & Ranger, Terence (Hrsg.), 2012: The Invention of Tradition. Cambridge: Cambridge University Press.
Klenner, Christina, 2002: Geschlechtergleichheit in Deutschland? Aus Politik und Zeitgeschichte B33-34/2002.
http://www.bpb.de/apuz/26768/geschlechtergleichheit-in-deutschland?p=all
Konnertz, Ursula (Hrsg.), 1991: Grenzen der Moral. Ansätze feministischer Vernunftkritik. Tübingen: edition diskord.
Krüll, Marianne, 1990: Wege aus der männlichen Wissenschaft. Perspektiven feministischer Erkenntnistheorie. Pfaffenweiler: Centaurus.
Kuznar, Lawrence A., 2008: Reclaiming a Scientific Anthropology. Lanham: Altamira Press.
Linnekin, Jocelyn S., 1983: Defining Tradition: Variations on the Hawaiian Identity. American Ethnologist 11, 2: 241-252.
Mann, Barbara Alice, 2004: Iroquoian Women. The Gantowisas. New York: Lang.
Meyers, Ursula I., 2004: Einführung in die feministische Philosophie. Aachen: ein-FACH-verlag.
Mies, Maria, 1998: Patriarchy & Accumulation on a World Scale. Women in the International
Division of Labour. London: Zed Books.
Morgan, Lewis Henry, 1878: Ancient Society or Researches in the Lines of Human Progress from
Savagery through Barbarism to Civilization. New York: Henry Holt & Co.
Nauck, Bernhard, 1985: ‘Heimliches Matriarchat’ in Familien türkischer Arbeitsmigranten?
Empirische Ergebnisse zu Veränderungen der Entscheidungsmacht und Aufgabenallokation. Zeitschrift für Soziologie 14,6: 450-465.
Ostner, Ilona & Lichtblau, Klaus (Hrsg.), 1992: Feministische Vernunftkritik. Ansätze und Traditionen. Frankfurt/M.: Campus.
Panoff, Michel & Perrin, Michel, 1992: Taschen-Wörterbuch der Ethnologie. Begriffe und Definitionen zur Einführung. Berlin: Dietrich Reimer.
Radcliffe-Brown, Alfred R., 1965[1952]: Structure and Function in Primitive Society. Essays and Addresses. With a Foreword by E. E. Evans-Pritchard and Fred Eggan. New York: The Free Press.
Routledge International Encyclopedia of Women. Global Women’s Issues and Knowledge. Volume 1: Ability to Education: Globalization. New York: Routledge, 2000.
Schaeffer-Hegel, Barbara & Watson-Franke, Maria-Barbara (Hrsg.), 1989: Männer Mythos Wissenschaft. Grundlagentexte zur feministischen Wissenschaftskritik. Pfaffenweiler: Centaurus.
Schwickert, Eva-Maria, 2000: Feminismus und Gerechtigkeit. Über eine Ethik von Verantwortund und Diskurs. Berlin: Akademie Verlag.
Shafer, Ann Eastlack, 1990: “The Status of Iroquois Women”. In: Spittal, Wm. Guy (Hrsg.): Iroquois Women. An Anthology. Ohsweken: Iroqrafts, 71-135.
Srivastava, A. R. N., 2005: Essentials of Cultural Anthropology. New Delhi: Prentice Hall of India.
Sutton, David Evan, 2000: Memories Cast in Stone. The Relevance of the Past in Everyday Life. Oxford: Berg, 102-105.
Uberoi, Patricia, 2003: Problems with Patriarchy: Conceputal Issues in Anthropology and Feminism. In: Rege, Sharmila (Hrsg.): Sociology of Gender. The Challenge of Feminist Sociological
Knowledge. New Delhi: Sage Publications India, 88-125.
Walby, Sylvia, 1989: Theorising Patriarchy. Sociology 23, 2: 213-234.
Wollstonecraft, Mary, 1796: A Vindication of the Rights of Woman. With Strictures on Political and Moral Subjects. London: Joseph Johnson.
Womack, Mari, 1998: Being Human. An Introduction to Cultural Anthropology. Upper Saddle River: Prentice Hall.
Zimmer, Jürgen, 1986: Die vermauerte Kindheit. Bemerkungen zum Verhältnis von Verschulung und Entschulung. Weinheim: Beltz.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen